Hallo, ich bin Melissa von der Letzten Generation.
Unsere
Widerstandsgruppe hat dem Stern viel zu verdanken. Wir treffen uns
regelmäßig im Stern zu Besprechungen, und dürfen die Räumlichkeiten
außerdem oft für Vorträge und Trainings nutzen. Deshalb war es uns
wichtig, heute hier mit einem Redebeitrag vertreten zu sein. Aber heute
erzähle ich auch ein Stück weit eine persönliche Geschichte.
Als
ich gehört habe, dass am Stern die Scheiben eingeschlagen wurden, war
ich erschrocken, aber nicht überrascht. Ähnliche Aktionen waren ja im
vergangenen Jahr schon am Hofgarten Kabarett, am Stern, und sogar bei
Menschen privat verübt worden. Mit eingeworfenen Scheiben und Mist vor
der Türe wurde gezeigt, dass Menschen, die sich konsequent gegen rechte
Strukturen einsetzen, in genau diesen Kreisen zum Feindbild werden.
Später
erfuhr ich dann vom versuchten Brandanschlag... und dann wurde mir erst
nach und nach bewusst, wie sehr sich die Sache inzwischen zuspitzt.
Plötzlich handelt es sich nicht mehr um einfache Sachbeschädigung. Hier
werden wissentlich Menschenleben aufs Spiel gesetzt.
Das macht mir Angst.
Bis
vor einem Jahr war ich politisch ziemlich desinteressiert. Als ich dann
mitbekam, dass zum wiederholten Mal ein Querdenker-Aufmarsch durch AB
geplant war, und Antifa-Recherchen regelmäßig ergaben, dass offen
Rechtsextreme dort mitlaufen, war ich zum ersten Mal bei einer Gegendemo
dabei. Der Blockade-Erfolg den wir an diesem Pfingstmontag noch hatten,
da wir die Polizei mit unserer Präsenz wohl etwas überraschten, wurde
schnell zunichte gemacht. Fotos und Videos einzelner Antifaschist*innen,
darunter auch Jugendliche, tauchten in rechten Social Media Gruppen
auf, Hass und Hetze wurden verbreitet, Verleumdungen waren an der
Tagesordnung.
Mich beschlich erstmals die Angst.
Bei
weiteren Gegendemonstrationen wurde das Polizeiaufgebot verstärkt, das
USK knüppelte wahllos auf die friedlichen Blockierer*innen ein, die
Quazis bedankten sich höflich für den Polizeischutz und die
Stadtverwaltung rechtfertigte das Ganze damit, dass sie Demos unabhängig
von deren Zielsetzung ermöglichen müssten. Der Oberbürgermeister, der
sich nach dem Pfingstmontag noch in einer Rede bei den jungen
Antifaschist*innen bedankt hatte, wurde in einer öffentlichen
Stadtratssitzung auf diese Polizeigewalt, u.a. gegen Jugendliche,
angesprochen, und meinte daraufhin: da müsste ja auch nicht unbedingt
ein 15jähriger in der ersten Reihe stehen - im gleichen Atemzug wurde
noch die gesamte Familie des besagten Jugendlichen diskreditiert.
Bisher
hatte ich darauf vertraut, dass, wenn ein Unrecht geschieht, die
Polizei und Stadtverwaltung ihr Möglichstes tun, um dieses aufzuklären,
und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Deshalb machte mir diese Entwicklung Angst.
In
den letzten Wochen wurden nicht nur nachts und im Dunkeln, sondern
teilweise am helllichten Tag, unter Zeugen und mit Kameraufnahmen,
Mitglieder unterschiedlichster Parteien beim Aufhängen von Wahlplakaten
verbal und körperlich angegriffen. Und jetzt dieser feige Anschlag auf
den Stern, der unschuldige Menschenleben hätte treffen können. Das
zeigt, nicht nur die Grenzen des Sagbaren haben sich verschoben, sondern
auch die Grenzen des Machbaren. Diese Menschen schrecken vor nichts
mehr zurück.
In mir wächst die Angst.
Wie kann es in einer
funktionierenden Demokratie überhaupt soweit kommen? Warum sind diese
Menschen weiterhin wählbar, dürfen auf allen Plattformen uneingeschränkt
ihre Hetze verbreiten?
Ein weiterer Grund warum wir als Letzte
Generation hier vertreten sind: In ihrer Anfang März veröffentlichten
Erklärung geht die Letzte Generation auch darauf ein, dass Klimakrise
und Demokratiekrise zusammen gedacht werden müssen.
Denn im
Faschismus wird es keinen Klimaschutz geben. Man sieht auf Demos z.B.
Plakate wie "Euer Klimaschutz geht und am Arsch vorbei - wir wollen
Wohlstand"
Stattdessen soll Europa immer weiter abgeschottet werden,
um den immer größer werdenden Flüchtlingsströmen zu begegnen, da immer
mehr Menschen aufgrund der Klimaveränderungen ihre Heimat verlassen
müssen.
Und wenn sich die Lage verschlimmert, müssen auch wir
hier in Deutschland Verteilungskämpfe austragen, um Wasser, Lebensmittel
und Anbauflächen.
Davor habe ich Angst.
Denn in einer
solchen Situation gewinnen die Skrupellosen. Wer jetzt schon nicht davor
zurückschreckt, Menschenleben zu opfern, um politische Gegner*innen zu
schädigen, der wird auch bei Ressourcenknappheit nicht gerecht teilen
wollen, sondern immer nur den eigenen Vorteil suchen. Auch deshalb
braucht es jetzt eine gestärkte Demokratie.
Vor Kurzem habe ich
ein Zitat gelesen, ich weiß leider nicht mehr von wem es war und gebe es
nur sinngemäß wider: "Wählen ist in einer Demokratie wie Atmen -
unerlässlich, aber nicht ausreichend." Das heißt, am 9. Juni müssen wir
ALLE wählen gehen, um den Faschist*innen entgegen zu wirken. Aber wählen
allein reicht leider nicht aus. Unsere gewählten Vertreter*innen müssen
anscheinend regelmäßig an ihren Amtseid und ihre Wahlversprechen
erinnert werden - ein einfaches Weiter so gibt es nicht. Es braucht
Demos, Petitionen, und für mich gehört dazu auch der zivile Widerstand.
Ich
will in meiner Angst nicht erstarren oder mich wegducken. Denn das
würde ja bedeuten, dass die Rechten ihr Ziel erreicht haben, dass sie
weitermachen und stärker werden können.
Ich will meine Angst in Mut
verwandeln, ich will laut sein, zeigen dass wir mehr sind, und dass wir
NIE wieder Faschismus hier oder irgendwo auf der Welt erdulden werden.